NACHKRIEGSGESELLSCHAFT UND WIDERSTAND

Nach dem Tod Professor Hubers steht seine Frau Clara erst einmal mittellos da. In den Jahren 1943 bis 1945 erfährt sie Hilfe durch Gräfelfinger Bürger, die mit den Aktivitäten ihres Mannes sympathisiert hatten. Sie werfen Geld in ihren Briefkasten. Außerdem wi rd ihr durch den Pfarrer der Gemeinde Geld zugeleitet, so daß sie nach eigener Aussage in dieser Zeit mit ihren Kindern keine eigentlichen finanziellen Sorgen hat.

Erst nach 1945 verschlechtert sich ihre Situation wesentlich, da ihr Mann als Beamter bei seinem Tod noch nicht pensionsberechtigt war und sich das Kultusministerium daher nicht zuständig fühlt, für den Unterhalt der Witwe mit den zwei Kindern zu sorgen. Frau Huber wendet sich daher um Unterstützung an das Landesentschädigungsamt, das ihre Ansprüche anfangs auch zurückweist, da für ihren Mann als Beamter das Kultusministerium zuständig sei.

Schließlich erhält sie dann doch eine Unterstützung für sich und ihre Kinder, und zwar anfangs 1000 DM im Quartal und etwas später nach wiederholten Anträgen auf Erhöhung der Unterstützung 500 DM im Monat.

Von den Wiedergutmachungszahlungen, die ihre Kinder 1948 für den Verlust des Vaters erhalten, kann sich die Mutter gerade ein Fahrrad kaufen.

Was die ideelle Wiedergutmachung anbelangt, so wird Kurt Huber die ihm am 8. März 1943 von den Nationalsozialisten aberkannte Doktorwürde 1953 in memoriam wiederverliehen. Im Rahmen der jährlichen Gedenkveranstaltungen der Universität München für die Weiße Rose wird Clara Huber am 27. Februar 1953 das entsprechende Doktordiplom feierlich überreicht.

Im Jahre 1957 erhält sie dann auch eine angemessene materielle Entschädigung, indem ihre Rente an das Gehalt ihres Mannes angeglichen wird, das er bekommen haben würde, falls er die ganze Zeit gearbeitet hätte. Alle finanziellen Leistungen beziehen sich auf Kurt Hubers Lehrtätigkeit an der Universität, nicht jedoch auf sein Wirken im Widerstand.

Da er in seinen letzten Lebensjahren viele Vorlesungen für den damaligen Ordinarius gehalten hat, wird er jetzt auch nachträglich zum Ordinarius ernannt.

Clara Huber hat es sich zur Auf gabe gemacht, das Andenken an ihren Mann und die Weiße Rose nicht verblassen zu lassen. Schon 1947 gibt sie das sehr persönliche und informative, 1986 in einer erweiterten Neuauflage erschienene Buch »Kurt Huber zum Gedächtnis. Bildnis eines Menschen, Denkers und Forschers« heraus. Zusammen mit Carola Karg ist sie verantwortlich für die von der Arbeitsgemeinchaft Bayerischer Verfolgtenorganisationen (ABV) organisierte und sehr erfolgreiche Ausstellung »Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933 – 1945«. Im Sinne ihres Mannes fühlt sie sich auch der Pflege der Volksmusik verpflichtet. Sie ist Schatzmeister im Verein für Volkslied und Volksmusik, dessen Mitgliederzahl über 400 beträgt. Für diese Funktion wird ihr 1982 der bayerische Verdienstorden verliehen.

Im Rahmen der nach 1945 notwendigen Umbenennung von Straßen und Plätzen finden auch Mitglieder der Weißen Rose Berücksichtigung. So wird in Gauting u.a. die Albert-Dern-Straße nach Kurt Huber benannt. In Gräfelfing bekommt die Ritter-von-Epp-Straße zunächst ihren ursprünglichen Namen, Bergstraße, seit ca. 1950 heißt sie Professor-Kurt-Huber- Straße. Die formale Vergangenheitsbewältigung zeigt sich auch noch an anderen Umbenennungen der Gemeinde Gräfelfing: Kirchplatz (früher: Adolf-Hitler-Platz), Bahnhofstraße (Adolf -Hitler-Straße), Steubstraße (Dietrich-Eckartt-Straße), Maria-Eich-Straße (Ludendorff – Straße), Lichtweg (Oskar-Körner-Straße), Ruffiniallee (Schlageterstraße). 1965 ehrt Gräfelfing den früheren Mitbürger Kurt Huber, indem der Gemeinderat mit einer Gegenstimme dem Realgymnasium Gräfelfing den Namen Professor-Kurt-Huber-Gymnasium gibt. In der Begründung heißt es: »Durch die Namensgebung soll die das Gymnasium besuchende Schuljugend immer an die Zeit des Totalitarismus und an einen Mann erinnert werden, der sein Leben für die Wiederherstellung des Ansehens des Deutschen Volkes in der Welt hingegeben hat.“

In München sind zwei städtische Gymnasien nach Sophie Scholl bzw.Willi Graf benannt.

In mehrfacher Weise würdigt die Universität München das Handeln der Weißen Rose und ehrt ihr Andenken. Der Platz vor dem Hauptgebäude trägt den Namen der Geschwister Scholl und den von Professor Kurt Huber. Auf Beschluß des Kultusministeriums erhält 1968 das interfakultative Institut für Politische Wissenschaft die offizielle Bezeichnung Geschwister-Scholl-Institut der Universität München für Politische Wissenschaft. Neben einem Denkmal im Lichthof erinnert an der Universität eine Gedenktafel vor dem Zimmer 315, von wo die Geschwister Scholl die Flugblätter in den Lichthof hinabwarfen, an die Weiße Rose.

Die Ehrung der Weißen Rose reicht bis in die heutigen Tage und geht über die deutschen Grenzen hinaus. So wird im September 1985 in Marzabotto, einem kleinen italienischen Ort in der Nähe von Bologna, der Hauptplatz nach den Geschwistern Scholl benanIn Marzabotto fand auf Befehl des SS-Offiziers Walter Reder ein Massaker statt, bei dem ca. 1500 Italiener erschossen wurden .Nach Zeugenaussagen haben sich zwei junge deutsche Soldaten geweigert, an der Exekution teilzunehmen. Die Namen von Hans Scholl und Sophie Scholl stehen stellvertretend für die beiden anonymen Soldaten.

Trotz aller äußeren Ehrungen wird in Deutschland der Weißen Rose, wie auch anderen Widerstandskreisen im Dritten Reich, nicht die ihr zustehende moralische und rechtliche Würdigung zuteil. Am Beispiel des Widerstands wird deutlich, daß nach 1945 die nationalsozialisti-sche Vergangenheit mehr verdrängt als bewältigt wird. Das hat seine historischen Ursachen. Ungeachtet der von den Alliierten veranlaßten Entnazifizierung überdauern fast alle Beamtenverhältnisse den 8. Mai 1945. Durch den Artikel 131 des Grundgesetzes und das entsprechende, mehrfach novellierte Ausführungsgesetz, sind die Beamten die einzige vom Grund-gesetz mit einer Entschädigungsaussicht bedachte Personengruppe. Selbst hohe nationalsozialis-tische Beamte, wie auch Richter des Volksgerichtshofs, leiten daraus den Anspruch auf Wiedereinstellung bzw. finanzielle Versorgung ab. Ihm wird in den meisten Fällen entsprochen. Demgegenüber sind die Opfer und Verfolgten der Naziherrschaft, sowie deren Angehörige nur Antragsberechtigte. Ab Mitte der 50-er Jahre, als die ehemaligen Nationalsozialisten schon einige Jahre gut versorgt sind, erhalten die Opfer eine klägliche Rente. Voraussetzung ist, daß sie eine Notlage nachweisen und belegen können, nicht irgendeiner Art von Gewaltherrschaft Beistand geleistet zu haben (z.B. der Sowjetunion) und nach dem 23. Mai 1949 (Verkündigung des Grund-gesetzes) die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht bekämpft haben (z.B. durch KPD-Zugehörigkeit). Bereits 1952 beklagt sich Robert Scholl, der Vater der Geschwister Scholl, in einem Leserbrief der Süddeutschen Zeitung, daß ehemalige Nazigrößen schon wieder aktueller seien als »jene, die einst unter Lebensgefahr den Verderbern unseres Volkes entgegengetreten sind«. Im glei- chen Jahr moniert Günther Weisenborn eine offizielle Anerkennung des Widerstands von höchster Stelle:

Was geschah, als der erste gewählte deutsche Bundestag zusammentrat und unser Volk erwartungsvoll nach Bonn blickte? Dankte er den toten Freiheitskämpfern mit besonderen Worten?

Nein!

Nun, so berichtete er doch sicherlich über die Widerstandsbewegung?

Nein!

Wenigstens einige Worte ließ er fallen, ein Wort nur, ein Wort!

Nein! Das Wort wurde nicht gesprochen!

. . . Es ist Zeit, daß eine deutsche Regierung sich rührt und das Andenken an den Opfermut eines großen Volkes nicht verkommen läßt!

1984 wird publik, daß die Witwe von Roland Freisler seit 10 Jahren eine Schadensausgleichsrente mit der aberwitzigen Begründung bekommt, es wäre nicht mit Sicherheit auszuschließen, daß Roland Freisler nach dem Krieg als »Rechtsanwalt oder Beamter des höheren Dienstes tätig geworden« wäre. Die Empörung einer breiten Öffentlichkeit führt zur Einstellung dieser finanziellen Zuwendung. Ein weiterer Aspekt der Vergangenheitsbewältigung sind die Ressentiments, die Teilen des Widerstands entgegengebracht werden. Viele Überlebende versichern glaubhaft, daß angesichts der totalitären NS-Herrschaft im Widerstand keine Unterscheidung zwischen Christen, Konservativen, Gewerkschaftern, Sozialdemokraten oder Kommunisten gemacht wurde, vielmehr der gemeinsame Kampf gegen das NS- Regime das verbindende Element war. In der Bundesrepublik wird zeitweise die Tendenz sichtbar, den Widerstand aus tagespolitischen Gesichtspunkten zu beurteilen. So erhält die erwähnte und seit 1976 erfolgreich eingesetzte Wanderausstellung »Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945« keine nennenswerte staatliche Unterstützung, weil nach Meinung maßgeblicher Stellen die Rolle der Kommunisten zu sehr im Vordergrund stehe und die Gründe für den Aufstieg Hitlers nicht ausgewogen genug dargestellt seien. Clara Huber bekommt wegen ihrer Beteiligung an der Ausstellung vom Bayreuther Politologen Konrad Löw den Vorwurf zu hören: »Das ist ja allerhand. Ihr Mann würde sich ja im Grab umdrehen, wenn er wüßte, daß seine Frau hier Dienst tut.« Sie entgegnet: »Ich muß ja meinen Mann gekannt haben. Ich kann Ihnen nur sagen, er würde sich im Grab umdrehen, wenn er Sie hier als Professor für Politik hören würde.<<

Für die Rehabilitierung ehemaliger Widerstandskämpfer, die Würdigung ihrer Arbeit und ihre Forderungen nach Wiedergutmachung bilden sich nach Kriegsende zahlreiche Verbände und Vereinigungen. Die Arbeitsgemeinschaf t bayerischer Verfolgtenorganisationen (ABV) ist der formale Zusammenschluß aller Gruppen in Bayern. Der Zentralverband demokratischer Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen (ZdWV) setzt sich u . a. auch die Aufklärung der jüngeren Generation zum Ziel. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) geht 1947 aus den in den Besatzungszonen entstandenen Ausschüssen bzw. Komitees von politischen Häftlingen hervor. 1971 wird der VVN zum Bund der Antif aschisten erweitert, mit dem Ziel, sich gegenüber der jungen Generation zu öffnen. Dies führt zum Austritt vieler ehemaliger Widerstandskämpfer, denen die Nähe der DKP zu groß ist. Die Arbeitsgemeinschaft Verfolgter So- zialdemokraten (AVS) ist innerhalb der SPD tätig. Sie berät u . a. Mitglieder des Rechtsausschusses im Bundestag, wie bei der Entschließung des Bundestages zu den Urteilen des Volksgerichtshofes.

Zwei Behauptungen im Nachspann des 1982 entstandenen Films »Die Weiße Rose« von Michael Verhoeven und Maria Krebs erregen große öffentliche Aufmerksamkeit und bringen eine breite Dis-kussion über die Beurteilung des Volksgerichtshofs durch den Bundesgerichtshof in Gang. Sie lauten: »Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs bestehen die Urteile gegen die Weiße Rose zu Recht. Sie gelten noch heute.« Diese Feststellung ist in ihrer Absolutheit unrichtig, weil die Urteile gegen die Mitglieder der Weißen Rose bereits durch das Bayerische Gesetz Nr. 21 vom 28. Mai 1946 bzw. das Baden-Württembergische Gesetz Nr. 29 vom 15. Juni 1946 aufgehoben worden sind. In dem dann veränderten und erweiterten Nachspann des Films heißt es im letzten Punkt: »Bislang haben noch keine Bundesregierung und kein Bundestag sich dazu entschließen können, sämtliche Urteile des Volksgerichtshofs per Gesetz zu annullieren.«

Um die teilweise widersprüchliche bzw. zumindest mißverständliche Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs zum Charakter und zur Entscheidungspraxis des Volksgerichtshofs zu klären, faßt der Deutsche Bundestag auf Anregung der SPD-Fraktion am 25. Januar 1985 einstimmig folgende Entschließung. Sie trägt im letzten Absatz auch der Forderung von Günther Weisenborn aus dem Jahre 1952 Rechnung:

»Der Deutsche Bundestag stellt fest, daß die als > Volksgerichtshof < bezeichnete Institution kein Gericht im rechtsstaatlichen Sinne, sondern ein Terrorinstrument zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Willkürherrschaft war .

Den Entscheidungen des > Volksgerichtshofs< kommt deshalb nach Überzeugung des Deutschen Bundestages keine Rechtswirkung zu.

Aus diesem Grund sind die Entscheidungen durch die Ländergesetzgebung der ersten Nachkriegsjahre sowie durch damaliges Besatzungsrecht ausdrücklich kraft Gesetzes oder durch gerichtliches Verfahren auf Antrag aufgehoben worden.

Den Opfern und ihren Familien bezeugt der Deutsche Bundestag Achtung und Mitgefühl. Mit ihrem Widerstand gegen das Naziregime haben sie ein bleibendes Beispiel gesetzt.«