VOLKSLIED FORSCHUNG

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Die ursprüngliche Begabung Kurt Hubers ist die Musik. Er hat ein absolutes Gehör und ein äußerst gutes Musikgedächtnis. So stellt neben der Philosophie und Psychologie die Musikwissenschaft einen seiner Arbeitsschwerpunkte an der Universität dar. Die bereits 1919 abgeschlossene Untersuchung »Der Ausdruck musikalischer Elementarmotive« wird 1923 publiziert.

Obwohl Kurt Huber viele wissenschaftliche Abhandlungen über bisher wenig erschlossene Randgebiete der Musikforschung verfaßt, bleibt seine Lieblingsbeschäftigung doch die Pflege des Volkslieds.

Er sieht jedoch das Volkslied nicht als ein rein künstlerisches Werk an, sondern fragt nach seinem Wesen, welche Geisteshaltung es verkörpert und welchem Umfeld es entstammt. Diese Fragestellung läßt ihn erkennen, daß diese ursprüngliche Kunst das Wesen eines ganzen Volkes, dessen Gefühle und Sehnsüchte zum Ausdruck bringt. Die im Volkslied so oft besungene Freiheit und Nächstenliebe, ebenso die Verwurzelung mit der Religiosität und der Natur, stellen für Kurt Huber Werte dar, die unbedingt zu erhalten bzw. wiederherzustellen sind. Ab ca. 1929 leistet Kurt Huber bemerkenswerte Forschungsbeiträge auf dem Gebiet der Volksliedkunde. Er reist mit dem Kiem Pauli durch Bayern, schreibt sehr viele Melodien auf und sammelt alles, was er über das Volkslied in Erfahrung bringen kann. So erscheint 1929 eine Volksliedsammlung »Bayerische Volkslieder«.

Doch mit der bloßen Herausgabe einer Liedersammlung gibt sich Kurt Huber nicht zufrieden, er analysiert die Texte und Melodien, wobei ihm sein umfassendes Wissen in Philosophie und Psychologie, das seine musikalische Begabung hervorragend ergänzt, zu Hilfe kommt.

Durch seine Publikationen über Musikpsychologie, Musikästhetik und vokaltheoretische Forschungen bekommt er bald Auf träge der deutschen Akademie. 1936 wird er Mitglied der Akademie und Leiter der Musikwissenschaftlichen Volksliedersammlung Bayerns. Ein Jahr später erfolgt der Ruf nach Berlin. Ihm wird versprochen, daß er dort an der Musikwissenschaftlichen Hochschule Vorlesungen halten dürfe. In Berlin baut er das Volksliedarchiv auf. Das Versprechen, in Berlin dozieren zu dürfen, wird nicht eingelöst, da er sich weigert, für den NS-Studentenbund Kampflieder zu komponieren. Nach mehreren Intrigen geht Kurt Huber mit seiner Familie wieder zurück nach München.

In seinen wissenschaftlichen Erfahrungen, die er in Deutschland gemacht hatte, findet er den Grundstock zur Entwicklung einer Typologie des Volksliedes in ganz Europa. Er macht Forschungsreisen in Süd-Ost-Europa, so z.B. mit Walther Wünsch nach Bosnien, um nach geographischen Gesichtspunkten Unterschiede in der Volksliederpsychologie festzustellen. Darüber hinaus beschäftigt er sich auch mit Volksmusik, die unserem Kulturkreis nicht angeschlossen ist, z.B. mit Gesängen des Korans und mit indischer Musik.

Kurz vor seiner Verhaftung ist Kurt Huber damit beschäftigt, Volkslieder nach gestaltungspsychologischen, musikalischen und rhythmisch-metrischen Gesichtspunkten zu katalogisieren. Dazu entwickelt er eigens ein Gerät zur Bestimmung von Tonfrequenzen. Über diese Arbeit hinterläßt er eine fast abgeschlossene Studie, die jedoch nie veröffentlicht wird.