Der ist ein Mensch gewesen!

Prof. Kurt Huber zum Gedenken

Immer wenn ich an der Stele von Prof. Kurt Huber vorbeikam, konnte ich eine erstaunliche Veränderung meiner inneren Gefühls- und Stimmungslage wahrnehmen. Unmittelbar scheint die Kraft und das Schillernde im widersprüchlichen Leben Prof. Kurt Hubers auf den Betrachter überzuspringen.  Ja, in diesem Sinne empfinden wir die Stele in der Ortsmitte Gräfelfings als Ausdruck des Schönen.

Wer war dieser Mann, dessen Anblick den ganzen Menschen erfasst und dessen Freiheit und Leichtigkeit des Geistes in eine spontane Euphorie versetzt? 

Die Motive des Handelns zu verstehen, die das Leben Prof. Kurt Hubers prägten und ihn zu einer herausragenden Tat im Widerspruch zu Hitlers NS-Regime befähigten, führt zu den Parteienkämpfen in den 20-er und 30-er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Der lange Schatten der Revolution lag über München. Die beiden roten Städte Deutschlands – Berlin und München -, nahmen in den zwanziger Jahren eine unterschiedliche Entwicklung. „Babylon-Berlin“ – eine aktuelle Fernsehserie – zeigt überzeugend, dass die Reichshauptstadt noch über Jahre die rote Bastion Deutschlands blieb, während unter dem blau-weißen Himmel Bayerns das Menetekel der „Stadt Hitlers“ hervortrat.

An die Stelle der sprichwörtlichen Gemütlichkeit, die mit ihrer gastlichen und weltoffenen Atmosphäre die besten Köpfe nach München zog, trat damals ein aufgeheizter Antisemitismus, Revanchismus und Völkerhass. Zahlreiche Schriftsteller wie Bertold Brecht, Ricarda Huch, Lion Feuchtwanger und Heinrich Mann verließen die Stadt und zogen nach Berlin. Ein Klassiker des Toleranzgedankens – Lessings „Nathan der Weise“ -, war in München aufwendig verfilmt worden, doch nur in Berlin konnte er in die Kinos kommen. Dem Betreiber des Regina-Kinos, das die Uraufführung ankündigte, drohten Rechtsextreme mit der Brandzerstörung. Die Münchener Polizei um Hilfe anzurufen, kam keinem in den Sinn, wusste man doch, dass Polizei und Justiz nationalsozialistisch durchsetzt waren. Die Rolle der Münchener Polizei und Justiz, in denen faschistische Gruppierungen das Zepter übernahmen, sollte unserem kollektiven Gedächtnis eine stete Mahnung sein.

Einem Studiosus der Musikwissenschaft, Philosophie und Psychologie wie Kurt Huber kann man aus heutiger Sicht nicht hoch genug anrechnen, dass er sich nicht von der aufflammenden Pogromstimmung anstecken und hinreißen ließ. Und dabei war Huber keinesfalls wie manche Zeitgenossen meinen, eine wundergläubig oder fanatisch verquaste Seele. Nein, er war ein wacher Geist auf der Suche nach stabilisierenden Gemeinschaftsformen, die gerade das Gegenteil zum Verbrecherischen, zur Massenhysterie und Völkervernichtung des Faschismus bildeten.

Fest in der Tradition eines denkenden Katholizismus verwurzelt, der durch die Enzyklika Quadragesimo anno geistige Nahrung erhielt, bewahrte er im Gegensatz zur Mehrheit kühlen Kopf und gehörte so zweifellos zu den Guten, die die „katholische Aktion“ zum Instrument des Überlebens machten. Papst Pius XI. hatte sie zum Leitfaden für das Leben der Katholiken unter der Herrschaft des Faschismus in Europa erklärt. Ihrer Kernidee nach lief sie darauf hinaus, dass die krisengeplagten Gesellschaften in der Zeit der Weltwirtschaftskrise Gewinn und Frieden nicht in der Eroberung und Unterjochung fremder Völker, sondern in der Besinnung auf innergemeinschaftliche Bindungen zu finden vermögen. Ein Echo dieser Idee finden wir im Bekenntnis Hubers: war kein Schurke, der bloß niederreißt, habe bedächtig aufgebaut.

Die Forschung spricht vom Korporatismus bzw. der Suche nach korporatistischen Formen und Elementen für das sittliche und moralische Leben von Gemeinschaften, wie sie – aber nur der Utopie nach – streckenweise auch im italienischen und deutschen Faschismus angedacht waren. Gerade die Suche nach einer Gemeinschaft, diese Tendenz, gegen soziale Kämpfe und Zerissenheit nach Gemeinschaftlichkeiten zu fahnden, hat Kurt Huber zur Weißen Rose getrieben. So erklären sich auch die Widersprüche und manche Missverständnisse seines Wirkens. Denn man hört ja davon, er sei zwar ein Widerstandskämpfer gegen den verbrecherischen Nationalismus zugleich jedoch auch völkisch befangen gewesen.

Die Gemeinschaft von Bürgern, die über ihr Schicksal selbst entschied, bildete für ihn – im Gegensatz zur manipulierbaren Masse – einen Leitfaden seines Handelns, das von einer herausragenden Tat, einer Thorstat im altgermanischen Sinne, überstrahlt wird. Der gelebte Korporatismus taucht in den „Liebesbanden“ wieder auf, die Prof. Kurt Huber mit dem Volkslied, seiner Pflege und musikwissenschaftlichen Erforschung ganz im Sinne Herders verbanden. Die Liebe zum bayerischen bzw. alpenländischen Volkslied war für Prof. Kurt Huber Ausdruck historisch gelebten Christentums und näher betrachtet eines ästhetischen Gemeinsinns. Der Glaube und die „Bergfreiheit“ waren dem im ostschweizerischen Chur Geborenen in die Wiege gelegt. In den ersten vier Jahren seines Lebens sah er beim Blick aus dem Fenster den ehrwürdigen Churer Dom und wenn er das Köpfchen hob, das gewaltige Schweizer Bergmassiv.

  Nichts hat er sich von seinem altständischen Glauben abhandeln lassen. Gemeinsam mit Kiem Pauli veranstaltete er in ganz Bayern „Preissingen“, die der katholischen Vision der Hilfe zur Selbsthilfe entsprachen und auf lokaler Basis organisiert wurden. Die „katholische Aktion“ ging beim Kindersingen in Burghausen so weit, nationalsozialistisches Jungvolk und KdF von der Teilnahme auszuschließen. Das martialische Gebräu aus nationalsozialistischen Kampf- und Stampfliedern, das in den blauweißen Himmel über seiner geliebten Heimat stieg, erzeugten in ihm ein Gefühl von Ekel und Abscheu. Man kann sich vorstellen, welche Folgen ein durch die „Ästhetik von unten“ bestimmtes Handeln für eine Universitätskarriere an einem gleichgeschalteten Universitätskörper bedeutete. Kein Wunder, dass sich die Suche nach einem Lehrstuhl und der damit verbundenen materiellen Sicherheit für Prof. Kurt Huber zu einem lebenslangen Trauma auswuchs.

Rosemarie Schumann, eine Historikerin aus der DDR, erkannte in Prof. Kurt Huber eine „Apostelnatur“: wie Hiob hingerissen zwischen Ertragenwollen und Aufbegehren. In jedem System kommt es wesentlich auf die moralischen, sittlichen und geistigen Bindungen an, die die Handelnden innerhalb des Systems in eigener Verantwortung eingehen. Prof. Kurt Huber leistete die Kärrnerarbeit und lud den Nationalsozialismus in den Hörsaal ein. Mit seinem Buch über „Leibniz – das Bild eines Menschen“, an dem er noch im Gefängnis in Stadelheim gearbeitet hat, dachte Prof. Kurt Huber der Lebensweise im NS-Regime den Spiegel vorzuhalten. Es ist – wie vieles andere auch – Fragment geblieben und harrt einer wissenschaftlichen Aufarbeitung.

In seiner Verteidigungsrede vor dem Volksgerichtshof – wir werden noch von ihr hören –, berief er sich auf Johann Gottlieb Fichte und machte den Führer persönlich für den sittlichen und moralischen Niedergang des deutschen Volkes verantwortlich. In einer überaus dunklen Zeit zündete Prof. Kurt Huber der Freiheit des Einzelnen ein Licht an, das die Zeiten überstrahlt und gerade in der Gegenwart aktueller denn je erscheint. 

Letztendlich können wir nur erahnen und wissen doch nicht genau, was Prof. Kurt Huber zu seiner herausragenden Tat gegen Hitlers Führerschaft und das NS-Regime befähigte. Fünf Jahre vor seinem Tod – im Jahr 1938 – schrieb Prof. Kurt Huber sein Schicksal vorausahnend in sein Diarium: (wird von einer Schülerin rezitiert…)

Auf meinem Grabstein könnt Ihr‘s lesen –
Hut ab! – der ist ein Mensch gewesen.
Er war kein sündeloser Geist,
Kein Schurke, der bloß niederreißt.
Er hat bedächtig aufgebaut
zur rechten Zeit sich ein Wort getraut,
Hat sich vor keinem Tyrannen gebückt,
war nicht von falschen Propheten berückt,
Er hat gelernt gewirkt, gestrebt,
Nur einem Ziel: der F r e i h e i t gelebt.

Wir – die Initiatorinnen des Aufrufes an den 1. Bürgermeister Gräfelfings, Herrn Peter Köstler, möchten Prof. Kurt Huber für ein Leben im Widerspruch zum Hitler-Regime mit der posthumen Ehrenbürgerschaft Gräfelfings gewürdigt wissen.

 Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

Text: Dieter Püschel unter Mitarbeit von Ulrich Hedtke (Berlin)

Fotos: Olaf Dankert