Die Aktionen der Weißen Rose

Am 9. Mai 1942, an ihrem 21. Geburtstag, kommt Sophie nach München, um dort Biologie und Philosophie zu studieren. Als Hans seine Freunde vorstellt, kommt man auch auf den Widerstand zu sprechen. Hans, Alex und Christoph wollen nicht mehr, wie sie anfangs vorhatten, die Predigten des Bischofs Graf von Galen vervielfältigen, sondern eigene Flugblätter entwerfen.

Mitte Juni 1942, einer Zeit, in der auch die Zivilbevölkerung mehr und mehr an den Folgen des Krieges leiden muß, erscheint das erste Flugblatt der Weißen Rose. Für die Gestapo ist sowohl die Form, als auch die Verteilung des Flugblattes neu, und dadurch, daß die Flugschriften z.T. auch mit der Post verschickt werden, sind die Verfasser zunächst vor einem Zugriff der Gestapo sicher. Ein Teil der Flugblätter wird auch in der Uni verteilt und in Telefonzellen hinterlegt. Viele, die ein Flugblatt bekommen, denken aber nicht daran, dass es von einer Widerstandsgruppe sei, sondern meinen, es sei eine Falle und geben es an die entsprechenden Staatsstellen weiter. In den folgenden Wochen erscheinen drei weitere Flugblätter der Weißen Rose. Im dritten Flugblatt wird zur »Sabotage in rüstungs- und kriegswichtigen Betrieben« aufgerufen. Man wendet sich so gegen die Meinung vieler, die sagen, daß zunächst »der Krieg gegen den Bolschewismus« gewonnen werden müsse, bevor das Hitlerregime gestürzt werden könne. Den Studenten ist aber klar, daß »ein Sieg des faschistischen Deutschlands in diesem Krieg unabsehbare, fürchterliche Folgen« habe. Der Konflikt zwischen Landesverrat und Widerstand, der gerade bei vielen konservativen Deutschen, aber auch in der Gruppe selbst vorherrscht, wird so aufgegriffen.

Obwohl Hans, Alex und Christoph versuchen, ihre Arbeit geheim zu halten, bekommen sie von Traute Lafrenz und Sophie unerwartet Hilfe. Weil die Materialbeschaffung, der Druck und die Verteilung sehr zeitraubend sind und man nicht durch eine plötzlich veränderte Lebensweise auffallen darf, suchen Hans, Alex und Christoph nach weiteren Mitgliedern für die Gruppe. Manfred Eickemeyer wird, als er in München zu Besuch ist, in die Aktionen eingeweiht. Er meint jedoch, daß die Flugblätter zu akademisch gestaltet seien. Vielmehr solle über die Greueltaten der Nazis berichtet werden, die er in Polen täglich sehe. Willi Graf, der seit dem 7. April 1942 in München ist, und Hans über Hubert Furtwängler und Christoph Probst kennengelernt hat, wird ebenfalls in den Kreis aufgenommen.

Sophie, die Professor Hubers Vorlesungen hört, weist die Freunde auf dessen kritische und mutige Aussagen hin. Schon bald besuchen auch die anderen Studenten des Freundeskreises die Vorlesungen, und man will den Professor in die Aktivitäten der Weißen Rose einweihen. Bei einem literarischen Gespräch Ende Juni 1942 bei Frau Dr. Mertens, an dem neben anderen auch Professor Huber teilnimmt, lernt ihn Hans persönlich kennen. Hans Scholl und Kurt Huber sind sich einig, dass ein geistiger Widerstand gegen den Nationalsozialismus sinnlos sei.

Um mit Kurt Huber in Kontakt zu bleiben, laden Alex und Hans den Professor zu einem ihrer Treffen ein. Außerdem schicken sie ihm ein Flugblatt. Dazu berichtet Professor Kurt Huber später vor Gericht: »Ich wurde von Hans Scholl… zu einer Zusammenkunft… geladen… einige Tage vorher hatte ich ein Flugblatt „Weiße Rose“ zugeschickt erhalten… daß Scholl der Verfasser war, konnte ich damals nicht wissen… Eine mir unbekannte Studentin, Fräulein Lafrenz, die mit Scholl und mir herausgefahren war, fragte mich … ob ich auch ein Flugblatt „Weiße Rose“ erhalten habe, was ich bejahte« Hierzu meint Frau Huber im Rückblick: »Wir haben erst im November erfahren, dass sie die Flugblätter geschrieben haben. Die haben wir anonym erhalten, mit der Post, ohne Absender. Wir haben gesagt, wir verbrennen sie.« Traute und Hans geben sich aber nicht zu erkennen. Professor Huber steht den Flugblättern skeptisch gegenüber und meint, daß die Gefährdung der Verfasser im Vergleich zum Ergebnis zu hoch sei.

Trotz seiner zunächst reservierten Einstellung wird der Professor zur Semesterabschlußfeier am 22. Juli 1942 in das Atelier Eickemeyer eingeladen. Neben den an den Aktionen der Weißen Rose direkt Beteiligten sind auch Manfred Eickemeyer, Katharina Schüddekopf, die Assistentin von Kurt Huber, und der Oberschüler Hans Hirzel aus Ulm anwesend. Wieder kommt man schon bald auf den Widerstand zu sprechen. Alex ist, wie Professor Huber, für den passiven Widerstand, weil er glaubt, daß die Mittel für den aktiven Widerstand fehlten. Kurt Huber bezweifelt, ob er mehr könne, als den faschistischen Ungeist zu verweigern und abzuwarten. Hans spricht sich für die Zusammenarbeit vieler Widerstandsgruppen aus. Zum Ende des Abends meint Professor Huber zur Überraschung der Anwesenden, daß die einzige Möglichkeit eines wirksamen Widerstandes illegale Propaganda, Sabotage in jeder Form und Attentate seien. Weil sie fürchten, eine Absage zu erhalten, geben sich Hans und die anderen Kurt Huber, in dem ein Leben unter fanatischen Parteianhängern und karrierebewußten Opportunisten eine tiefe Resignation hinterlassen hat, nicht zu erkennen.

Die Zusammenkunft war zugleich auch eine Abschiedsfeier, da Willi, Hans, Alex und Hubert Furtwängler während der Semesterferien als Sanitäter nach Rußland müssen. Einer der Briefe, die sie Professor Huber von dort schicken, lautet:

Rußland, den 17. August 1942

Sehr geehrter Herr Professor!

Nach einer langen und abwechslungsreichen Fahrt sind wir vor zwei Wochen in einem kleinen, halbzerschossenen Städtchen östlich Wiasma angekommen. Hier verbringen wir unsere Tage mit Nichtstun. Nicht daß ich mich nach »Arbeit« sehnte, mit Medizin beschäftige ich mich nur, um besonders leeren Stunden zu entgehen. Auch der immerwährende Regen stört mich keineswegs, sondern die verdammte Inaktivität in wesentlicheren Dingen, die Ausweglosigkeit, das Abgeschnittensein ärgert mich oft maßlos. Von Warschau aus, wo die ganze Studentenkompanie noch beisammen war, wollte ich Ihnen schon eine Postkarte schreiben, aber es ging alles viel zu schnell. Die Stadt, das Ghetto und alles Drum und Dran hatte auf alle einen sehr entscheidenden Eindruck gemacht.

Es ist unmöglich, auch nur ein schwaches Bild dessen zu geben, was in Rußland vom ersten Tag an nach der Grenzüberschreitung auf mich eingestürmt ist. Ich weiß nicht, wo ich anfangen sollte zu beschreiben. Rußland ist in jeder Beziehung so ungeheuer groß, so ohne jede Grenze und grenzenlos ist die Heimatliebe seiner Bewohner. Der Krieg geht über das Land dahin wie ein Gewitterregen. Aber nach dem Regen scheint wieder die Sonne. Das Leid ergreift die Menschen ganz und gar, reinigt sie – aber dann lachen sie wieder.

Ich bin mit drei guten Freunden, die Sie kennen, bei derselben Kompanie. Besonders wertvoll ist mir mein russischer Freund. Auch ich bemühe mich sehr, die russische Sprache zu lernen. Wir gehen abends zu den Russen und trinken Schnaps mit ihnen und singen.

Die Russen sind wohl nördlich und südlich von hier mit starken Kräften im Angriff, aber es ist noch unklar, was daraus entstehen wird.

Viele Grüße!

Ihr ergebener Hans Scholl

und Ihr Alexander Schmorell

und Ihr Willi Graf

und Ihr Hubert Furtwängler

Über Alex, der die russische Sprache beherrscht, bekommen sie Kontakte zur Zivilbevölkerung und erfahren so von den Verbrechen der Wehrmacht. Später werden sie selbst Zeugen von solchen.

Als der Vater der Geschwister Scholl zu vier Monaten Gefängnis verurteilt wird, fährt Sophie nochmals nach München und beseitigt mit Traute die letzten Spuren der Weißen Rose. Anfang August muß Sophie dann zum Kriegshilfsdienst. Nach der Rückkehr aus Rußland im November 1942 werden die Widerstandsaktivitäten wieder aufgenommen. Dabei verzichtet die Gruppe auf die aktive Hilfe Christophs, da dieser in Innsbruck bleiben muß.

Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen

Um die Arbeit der Weißen Rose effizienter zu machen, entschließt man sich, zu anderen Widerstandsgruppen Kontakte herzustellen. Dabei denkt man sowohl an eine größere Verbreitung der eigenen Flugblätter, als auch an die Möglichkeit, einen Putsch durch das Militär zu unterstützen.

Traute Lafrenz spricht bei einem Besuch in Hamburg Heinz Kucharski und Greta Rothe an. Beide sind bereit, die Flugblätter der Weißen Rose in Hamburg zu verteilen.

Willi Graf versucht bei seinen Freunden aus der »bündischen Jugend« Unterstützung zu finden. Er kann aber nur Heinz Bollinger, der in Freiburg studiert, zur Mitarbeit überreden. Über Lila Ramdohr gelingt es Hans und Alex, Kontakt zu Falk Harnack herzustellen, einem Bruder von Arvid Harnack, der zusammen mit Harro Schulze-Boysen führender Kopf der »Roten Kapelle« war, der kommunistischen Widerstandsgruppe in Berlin. Trotz fehlender Urlaubsscheine und der Kontrollen der Gestapo fahren Hans und Alex nach Chemnitz, um dort Falk Harnack zu treffen. Bei diesem Gespräch erfahren die beiden Studenten ansatzweise von der militärischen Opposition und von einem geplanten Putsch. Harnack soll eine Verbindung zu den Schaltstellen der Widerstandsbewegung in Berlin herstellen.

Außerdem bestehen gute Kontakte nach Ulm zu Hans Hirzel, der die Predigten des Bischofs von Galen abgeschrieben hat. Mit Sophies Unterstützung hat er schon im Sommer einen Vervielfälti- gungsapparat gekauft, und mit Hilfe von Franz Müller und Heinrich Guter soll er die Arbeit der Weißen Rose in Ulm unterstützen. Im November und Dezember 1942 werden in den Münchner Kreis der Weißen Rose Gisela Schertling, mit der sich Sophie beim Reichsarbeitsdienst angefreundet hat und die jetzt in München studiert, sowie Professor Huber aufgenommen. Ihn hatten Hans und Alex zuvoker zweimal in seiner Gräfelfinger Wohnung besucht und sich zuletzt zu erkennen gegeben. Professor Huber ist aber immer noch skeptisch über die Erfolgsschancen der Flugblattaktionen. Seine Hoffnungen beruhen auf einem Putsch durch die Wehrmacht. Frau Huber sagt rückblickend über eines dieser Treffen: »Ein paarmal habe ich schon mitbekommen, was sie alles vorhaben. Einmal hat Hans Scholl erzählt, daß er Verbindung hat nach Berlin zu Generaloberst Beck. Weil mein Mann immer davon ausgegangen ist: wir können nichts machen, wir Studenten. Da geht nichts. Das muß das Militär machen; nur das Militär kann ein Attentat machen und Hitler absetzen«. Außerdem kann Hans den Buchhändler Josef Söhngen überreden, seinen Keller als Ausweichquartier für den Druckapparat bereitzustellen. Von Eugen Grimminger, einem Freund der Familie Scholl, bekommt die Weiße Rose 500 RM, mit deren Hilfe das fünfte Flugblatt, das im Januar 1943 herauskommt, finanziert werden kann. Es ist mit »Aufruf an alle Deutschen« betitelt. Da es eine gesamtdeutsche Widerstandsbewegung verdeutlichen soll, endet es mit: »Flugblätter der Widerstandsbewegung in Deutschland«. Die Materialbeschaffung ist sehr schwierig, da große Mengen gekauftes Papier auffällig sind. Professor Huber gelingt es mit einem Vorwand, über den Ehemann einer Kommilitonin, der in der Stadtverwaltung tätig ist, an Papier heranzukommen. Auch die Verteilung ist schwierig, da die Flugblätter von verschiedenen Städten in andere geschickt werden, um die Gestapo zu täuschen. Außerdem müssen die Freunde in Hamburg, Freiburg und Ulm die Flugblätter bekommen.