Erinnerung an meinen Vater von Prof. Wolfgang Huber

Kurt-Huber-Gymnasium 24.10.23

Ich darf mich kurz vorstellen: ich heiße Wolfgang Huber, habe in München und in Wales Anglistik und Sprachwissenschaft studiert und war zuletzt Professor für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Eichstädt/Ingolstadt. Deshalb bin ich aber nicht hier, sondern weil ich der Sohn von Prof. Kurt Huber bin und die Ehre und die Freude habe, bei der Eröffnung einer Dauerausstellung über meinen Vater dabei sein zu dürfen.

Ich habe an meinen Vater keine wirklich erzählenswerten Erinnerungen, dafür habe ich ihn viel zu selten bewusst wahrgenommen. Bei seiner Hinrichtung war ich erst 4 Jahre alt. Ich kenne ihn im Wesentlichen aus Erzählungen meiner Mutter, meiner Schwester, sie war 8 Jahre älter als ich, von seinen Freunden und Schülern.

Heute vor 130 Jahren ist mein Vater in Chur in Graubünden geboren und erhielt nach damaligem Ius Soli die Schweizer Staatsangehörigkeit. Nach drei Jahren zog die Familie nach Stuttgart, mein Vater wurde Königlich Württembergischer Staatsbürger, nach dem Tod meines Großvaters Huber, zog die Familie nach München. Mein Vater studiert Musikwissenschaft,
Psychologie und Philosophie und promoviert in Musikwissenschaft über den Münchner Hoforganisten und Renaissance—Komponisten Ivo de Vento. Er wird wissenschaftlicher Assistent im Fach Psychologie und schreibt eine Habilitationsschrift über die Wahrnehmung von musikalischen Akkorden.
Er wird Privatdozent und außerplanmäßiger Professor in München. Man kennt meinen Vater meist nur als Mentor der Studenten der Weißen Rose. Ich habe seine Arbeiten gelesen und ihn auch als Wissenschaftler kennengelernt und teilweise auch bewundert. Er war ein einfallsreicher Erfinder und hatte zur Messung von Sprachschall ein Gerät konstruiert, das für seine Zeit einzigartig war.

Dennoch wirkte er in praktischen Dingen zuweilen unbeholfen; so musste er sich bei einem Wasserrohrbruch im Haus zuerst eine Krawatte umbinden, bevor er nachsehen konnte, wo das Wasser im Treppenhaus herkam.
Die Entdeckung der Volksmusik war um die Jahrhundertwende in Mode gekommen und mein Vater hatte das Glück, dass er mit dem
Kiem Pauli durch Oberbayern wandern und Volkslieder sammeln konnte, die bis dahin noch nie aufgezeichnet waren. Es waren Glücksfälle volkskundlicher Feldforschung, um die ihn viele beneidet hatten.

Sein eigentliches Interesse war nicht so sehr die Entdeckung unbekannter Lieder; er hatte auffallende Ähnlichkeiten in Volksliedern verschiedener Völker beobachtet, die sich am ehesten durch interkulturelle Kontakte, durch Wanderungen von Melodien, Rhythmen oder Tonarten erklären ließen. Er hatte die Vermutung einer großen Ost—West—Wanderung musikalischer Formen. Dazu wäre die „Volksliedtypologie“ eines seiner wichtigsten Werke geworden. Leider ist sie Torso geblieben und bis heute nicht veröffentlicht.
Rasch wurde er als Volkslied-Spezialist bekannt und sollte an das Staatliche Institut für Musikforschung als Leiter der Abteilung Volksmusik berufen werden. Wegen einer unvorsichtigen Bemerkung gegen das Amt Rosenberg und weil er seine Volksliedforschungen nicht zur Suche nach NS-Kampfliedern missbraucht wissen wollte, gab es Intrigen gegen ihn. Der Musikwissenschaftler und Mitglied im Deutschen Ahnenerbe der SS Müller-Blattau („das Horst—Wessel —Lied ist der Inbegriff des deutschen Volksliedes“) und der Referent im Amt Rosenberg Herbert Gerigk, Mitautor des Lexikon der Juden in der Musik, die Grundlage für viele Einlieferungen jüdischer Musiker in Konzentrationslager, konnten seine Berufung verhindern.
An der Münchener Universität hatte mein Vater genügend Ärger mit nationalsozialistischen Kollegen; da waren die Studenten der Weißen Rose ein Lichtblick. Sie trafen ihn meist nach seiner Vorlesung; später lud er sie nach Gräfelfing ein, wo die konspirativen Treffen in einem stillen Kämmerlein stattfanden. Meine 12—jährige Schwester brachte ihnen Tee, durfte aber nicht im Zimmer bleiben, lauschte deshalb an der Türe und hörte meinen Vater sagen „Ohne Blutvergießen wird es nicht abgehen“.

Im Februar 43 beteiligte sich mein Vater an der Flugblatt-Aktion der Studenten: er fügte in das fünfte Flugblatt den Satz über zukünftigen Föderalismus in Europa ein, der auf dem Weiße-Rose Denkmal im Hofgarten zitiert wird und er schrieb das sechste Flugblatt. Es war dieses Flugblatt, das Sophie Scholl im Lichthof der Universität abwarf. Die Gestapo war schon in der Uni und die ersten Verhaftungen folgten.

Die Geschwister Scholl und Christoph Probst werden verhaftet, verhört und schon am 22. Februar vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt Das Blutvergießen kommt schneller als gedacht. Noch am Tag der Urteilsverkündung finden die ersten Hinrichtungen in Stadelheim statt.
Es dauert nicht lange und alle engeren Freunde der Studentengruppe sind verhaftet. Zu meinem Vater kam die Gestapo am Morgen des 27. Februar. Ich war bei meiner Großmutter, meine Mutter bei Freunden in Altomünster. Außer meinem Vater war nur meine Schwester Birgit in der Wohnung. „Komm ja wieder pünktlich heim“ sagt sie zum Abschied. Vier Tage später wird auch meine Mutter verhaftet und die 12-jährige Birgit bleibt fünf Wochen allein in der Wohnung.

Einen Tag vor dem Geburtstag des Führers findet der Prozess gegen Schmorell, meinen Vater, Graf und weitere 11 Beteiligte statt. Die Todesurteile für die ersten drei stehen schon vorher fest: sie sind als Geburtstagsgeschenke für den Führer gedacht. Nach einem Protest des Justizministers Thierack gegen die übertriebene Eile Freislers im ersten Prozess, werden die Urteile im zweiten Prozess erst im Juli, bzw. Oktober vollstreckt. Ein Gnadengesuch des Verteidigers wurde abgelehnt, eines seiner Kollegen wurde vom Rektor gar nicht erst eingereicht. Mein Vater starb für den Rechtsstaat und die persönlichen Freiheitsrechte wie die Rede- oder Pressefreiheit.

Meinen Vater hätte es sicher besonders gefreut, dass an einem Gymnasium das Andenken an ihn gepflegt wird. Ich darf mich deshalb auch im Namen meiner Familie bei Frau OStDirin Anita Groß und bei Frau Stefanie Fehlhammer vom Kurt-Huber-Gymnasium ganz herzlich bedanken, dass Sie eine dauerhafte Erinnerung an meinen Vater in Ihrem Gymnasium ermöglichen.
Erinnerungsarbeit ist ja Erinnern für die Jugend: da ist es schon das Beste, was meinem Vater passieren kann, dass sich Jugendliche in einem P-Seminar intensiv für seine Person engagieren.

Mein ganz besonderer Dank gilt deshalb dem P-Seminar dieses Gymnasiums für das Engagement, die Mühe und Sorgfalt mit der sie sich um das Gedenken an meinen Vater bemüht und sehr informative Bildtafeln zusammengestellt haben.

Man weiß ja nie, was alles kommt. Ich darf deshalb den jungen Leuten vielleicht noch sagen, dass die unschuldige Jugend spätestens bei den nächsten oder übernächsten Wahlen vorbei ist, wenn Sie in den Wahlkabinen stehen und überlegen, wen sie wählen, bzw. nicht wählen wollen. Dann spätestens sollten Sie sich an das Schlusswort der Verteidigungsrede meines Vaters vor dem VGH erinnern: damit sie nicht durch Ihre Wahlentscheidung dazu beitragen, dass Sie in einem veränderten politischen Klima die Bildtafeln dieser Ausstellung wieder abhängen müssen. Mein Vater spricht von persönlicher Verantwortung und zitiert die Verse des Dichter Mathäei:

Und handeln sollst du so als hinge
Von Dir und deinem Tun allein,
das Schicksal ab der deutschen Dinge
und die Verantwortung wär dein.