Dr. Toni Liebl
Zum 130 Geburtstag von Kurt Huber am 24.10.2023
Wenn heute die Dauerausstellung „Kurt Hubers Leben und Widerstand“ am KHG eröffnet wird, so ist auch ein Rückblick geboten, um sich klar zu machen, wie und wann die Beschäftigung mit Kurt Huber an dem nach ihm benannten Gymnasium begann und auch die Personen zu würdigen, die dies ermöglicht haben.
Seit 1966 trägt die Schule seinen Namen.
Allgemein ist festzustellen, dass die Rezeption historischer Ereignisse und das Wirken großer Persönlichkeiten Auskunft gibt über die jeweilige Herrschaftsstruktur, Gesellschaft und das kollektive Bewusstsein.
Für die Weiße Rose gilt, wie für andere Personen und Gruppen des Widerstands gegen das Unrechtssystem des Nationalsozialismus, dass sie nach dem II.Weltkrieg bis zum Ende der 60er Jahre kaum eine öffentliche und auch nur ansatzweise breite Würdigung erfuhren. Es gab das dünne, erstmals 1952 erschienene Taschenbuch „Die Weiße Rose“ von Sophies Schwester Inge Scholl, das lange Zeit die Deutungshoheit innehatte. Sonst hielt sich Beschäftigung mit dem Wirken der Weißen Rose in engen Grenzen, die überlebenden Mitglieder des Widerstandskreises wirkten eher im Verborgenen.
Das hat damit zu tun, dass in den Anfangsjahren der BRD viele Funktionsträger des NS-Regimes wieder in Amt und Würden waren und nicht nur ihre eigene Biographie verschleierten, sondern auch in Staat und Gesellschaft ihren Einfluss geltend machten. Bis in die Gegenwart werden „braune Flecken“ anerkannter Persönlichkeiten publik, zuweilen erst nach ihrem Tod.
Auch wollte man sich in den Aufbaujahren der BRD weniger mit der Vergangenheit auseinandersetzen und war mit der Schaffung des „Wirtschaftswunders“ beschäftigt.
Den Geist dieser Jahre spiegelt die Tatsache wider, dass noch 1974 der Witwe von Roland Freisler vom bayerischen Sozialministerium eine Rentenerhöhung im Rahmen des „Berufsschadensausgleichs“ gewährt wurde mit der Begründung, es sei nicht ausgeschlossen, dass er nach 1945 als Rechtsanwalt oder höherer Justizbeamter Karriere gemacht hätte. Erst Jahre später wurde dies revidiert.
Eine Änderung gab es erst ab den späten 60er Jahren, als Jugendliche und Studenten den Eltern und der Öffentlichkeit kritische Fragen stellten. Ein weiteres wichtiges Moment war dann die 1979 in der Bundesrepublik ausgestrahlte Fernsehserie „Holocaust“, in der die Leidensgeschichte einer fiktiven jüdischen Berliner Familie anschaulich vor Augen geführt wurde. Der Begriff „Holocaust“ war vorher in der deutschen Öffentlichkeit überhaupt nicht präsent. Schließlich wurde im Abspann des Filmes „Die Weiße Rose“ von Michael Verhoeven – 1982 der erfolgreichste deutsche Kinofilm – publik gemacht, dass die Todesurteile des Volksgerichtshofes immer noch Gültigkeit haben. Sie wurden dann erst 1998 in einem Gesetz vom Bundestag aufgehoben, 53 Jahre nach Kriegende!
Vor diesem Hintergrund begann man sich am Kurt-Huber-Gymnasium mit dem Namensgeber der Schule näher auseinanderzusetzen. 1983, 40 Jahre nach den beiden Prozessen und den Hinrichtungen suchte ich den Kontakt zu Mitgliedern der Weißen Rose. In Person von Franz Josef Müller, der als Ulmer Schüler wegen des Verbreitens der Flugblätter Mitangeklagter im Prozess gegen Kurt Huber war, begegnete ich einem engagierten und charismatischen Zeitzeugen. Er war dann auch Vorsitzender der 1987 gegründeten Weiße Rose Stiftung. In Gesprächen mit Schülern – erstmals kam er am 13.7.1983, dem 40.Todestag von Kurt Huber an die Schule – konnte er, selbst Jurist, eindringlich und anschaulich von dem Wirken der Weißen Rose und dem Prozess vor dem Volksgerichtshof berichten. In besonderer Erinnerung ist seine deutliche Schilderung der aufbauenden Wirkung der Verteidigungsrede Kurt Hubers für alle Angeklagten im Sinne eines „inneren Triumphes“ der Angeklagten. Natürlich war auch die Aufarbeitung der Urteile des Volksgerichtshofs im Bundestag, zu dem Franz Josef Müller gute Kontakte hatte, ein zentrales Thema. Er war bis 2004 Vorsitzender der Weiße Rose Stiftung und plante sowie gestaltete in dieser Funktion auch die 1997 eröffnete Denkstätte Weiße Rose an der LMU. Er zog in die Überlegungen auch den Aspekt mit ein, wie man insbesondere Jugendliche mit der Denkstätte ansprechen könnte und kontaktierte in diesem Zusammenhang auch mich. Ich erinnere mich an eine Besprechung in den Räumen am Lichthof der Universität, an dem auch der Architekt Heinrich Guter, als Ulmer Schüler wie Franz Müller Mitangeklagter im Prozess gegen Kurt Huber, beratend teilnahm. Von ihm stammte wohl auch der erste Entwurf für die Denkstätte.
Noch wichtiger war freilich Clara Huber. Ihr Beitrag zur Bewahrung des geistigen Erbes ihres Mannes kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie war eine beeindruckende Persönlichkeit. Von Wegbegleitern wird sie als „warmherzig, bescheiden und offen“ beschrieben. Ich habe sie als sehr freundlich, zurückhaltend und klar im Urteil erlebt. Bei ihr war keine Spur von Klagen oder Schuldzuweisungen zu erkennen, wozu sie weiß Gott Anlass gehabt haben könnte.
Sie hatte im Leben ja viel durchgemacht:
Da war einmal die Sorge um die Familie angesichts des Kontaktes ihres Mannes zu den Studenten der Weißen Rose. So erinnerte sie sich, dass während eines Besuches von Hans und Sophie Scholl in Gräfelfing Anfang 1943 ihr die Tochter Birgit berichtete, dass sie, an der Tür lauschend, eben gehört habe, es sei im Zimmer davon die Rede gewesen, dass „es ohne Blut nicht gehen würde“. Darüber sei sie dann so empört gewesen, dass sie den vorgesehenen Kuchen nicht serviert hätte.
Dann das große Leid um die Verhaftung – sie war am 27.2.1943 nicht zu Hause – den Prozess und die Haftzeit ihres Mannes. Sie selbst war am 3.März verhaftet worden und blieb bis zum 20.4., einen Tag nach dem Todesurteil, zunächst im Polizeipräsidium in der Ettstraße und dann im Gestapogefängnis an der Briennerstraße inhaftiert.
Vergeblich versuchte sie dann durch Fürsprachen von prominenten mit ihrem Mann bekannten Zeitgenossen, wie etwa Carl Orff oder dem Professor für Bayerische Landesgeschichte Karl Alexander von Müller, eine Revision des Urteils oder zumindest einen Aufschub der Hinrichtung zu erreichen, mit der Begründung, die Studien des Wissenschaftlers Kurt Huber in der Leibniz-Forschung und der Volksmusik-Typologie, an der er in seiner Gefängniszelle in Stadelheim, auch mit Hilfe von Literatur, die Clara Huber übermittelte, arbeitete, seien wichtig. Auch bestand die vage Hoffnung angesichts der Wende im Krieg auf ein mögliches zeitnahes Ende der NS-Herrschaft. Sie stieß überall auf verschlossene Türen. Ein vom Verlag Cotta an den Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof eingereichtes Gesuch um „Arbeitsbegnadigung“, das auch seine Arbeit an der Leibniz Biographie anführte, war erfolglos. Kurt Huber wurde am 13.7.1943, wie sein Abschiedsbrief zeigt, mitten in der Arbeit an einem Manuskript über die Vokaltheorie der Guillotine ausgeliefert und ermordet.
Zusätzlich zur großen seelischen Belastung kamen die wirtschaftliche Not und die materielle Sorge um die minderjährigen Kinder Birgit und Wolfgang nach Streichung der Bezüge des Mannes.
In Gräfelfing widerfuhr ihr teilweise eine feindselige Stimmung, manche Menschen wechselten, wie sie erzählte, bei ihrem Anblick die Straßenseite. Andererseits fanden sich vor der Wohnung anonym abgelegte Lebensmittel oder im Briefkasten anonyme Geldspenden.
Der mühevolle Kampf um die Rehabilitierung ihres Mannes nach 1945 war beschwerlich, es galt viele Widerstände zu überwinden. 1953 wurde an der LMU in einer feierlichen Übergabe der entsprechenden Urkunde der Entzug der Doktorwürde Kurt Hubers durch die Nazis revidiert. Erst 1957 erhielt sie eine angemessene Rente für die Tätigkeit Kurt Hubers an der Universität.
Nach 1945 hat Clara Huber Bedeutendes für das Vermächtnis ihres Mannes geleistet. Schon 1947 gab sie das Buch „Kurt Huber zum Gedächtnis. Bildnis eines Menschen, Denkers und Forschers Dargestellt von seinen Freunden“ heraus. Dieses, auch heute noch sehr lesenswerte Buch bringt den Wissenschaftler und Menschen näher und enthält als Beiblatt im Anhang neben einem Wiegenlied zwei Notensätze Kurt Hubers aus den bayerischen Tänzen, gewidmet Weihnachten 1939 seiner Frau und der Tochter Birgit.
Der am Anfang des Buches von Clara Huber verfasste Beitrag „Kurt Hubers Schicksalsweg“ ist eine treffende Charakterisierung ihres Mannes und dann auch chronologisches Zeugnis der schweren Zeit, die sie durchmachen musste.
1951 folgte dann die Erstausgabe der großen Leibniz Biographie von Kurt Huber, 1989 als Taschenbuch im Piper Verlag neu aufgelegt.
Vor allem aber hat sie aus dem Nachlass Kurt Hubers zahlreiche Studien und Notenaufzeichnungen herausgegeben, die ja in der Nazizeit nicht veröffentlicht werden konnten und bis in die Gegenwart die seriöse Beschäftigung mit der echten Volksmusik bereichern. So etwa der Band„Volkslied und Volkstanz. Aufsätze zur Volksliedkunde des bajuwarischen Raumes“.
Die Volksmusik war ihr besonderes Betätigungsfeld. Sie gründete 1965 zusammen mit Wastl Fanderl und Annette Thoma den „Verein für Volkslied und Volksmusik“ und war viele Jahre Schatzmeisterin und aktiv im Rahmen von Volksmusik Seminaren. Posthum wurde sie dort zum Ehrenmitglied ernannt, 2018 wurde ihr zu Ehren in der Kirche am Petersberg bei Dachau ein Gedenkgottesdienst abgehalten. Für ihr Engagement bekam Clara Huber auch den Bayerischen Verdienstorden.
Clara Huber kam öfter zu Veranstaltungen an das KHG, so wie seit längerer Zeit auch Prof. Dr. Wolfgang Huber, der auch heute wieder der Schule die Ehre seines Besuches gibt. Er wird begleitet von seiner Frau, Prof.Dr.Emel Huber, die ihn in seinem Engagement unterstützt und, wie er selbst äußerte, vor langer Zeit den Anstoß gab, sich mit dem Wirken seines Vaters und der Weißen Rose, näher zu beschäftigen und in der Öffentlichkeit die Erinnerungsarbeit zu unterstützen und insbesondere mit jungen Menschen zu sprechen. Sein 2009 erschienenes Buch „Kurt Huber vor dem Volksgerichtshof. Zum zweiten Prozess gegen die Weiße Rose“ ist allen zu empfehlen, die genauere Informationen über die Situation an der Münchner Universität in den frühen 1940er Jahren sowie den Verlauf und die weltanschaulichen Hintergründe des Prozesses bekommen wollen. Genauso interessant ist das von ihm 2018 herausgegebene Buch „Die Weiße Rose – Kurt Hubers letzte Tage“. Erfreulicherweise sind heute zur Eröffnung der Dauerausstellung auch Kinder und Enkel von Kurt Hubers Tochter Birgit Weiß gekommen, Ihnen gilt ein besonderer Willkommensgruß.
In aller Kürze noch die wichtigsten Stationen der Erinnerungsarbeit an der Schule:
Bei meinem ersten Besuch bei Clara Huber 1983 in der Trogerstraße in Bogenhausen holte sie nach einem längeren Gespräch einen Karton mit den Aufzeichnungen ihres Mannes und gab sie mir zur Sichtung für die geplante Dokumentation mit. Als ich dann zu Hause die Handschriften Kurt Hubers, inklusive der Korrespondenz während seiner Haft und den Abschiedsbrief in Händen hielt, war ich tief erschüttert.
Heute findet sich der größte Teil des Nachlasses im Münchner Stadtarchiv. Frau Huber war sich damals noch nicht sicher, wohin sie den Nachlass geben sollte, auch später, sie wohnte dann in der Tengstraße in Schwabing, schwankte sie zwischen dem Archiv der Universität und dem Stadtarchiv. Sie hat sich dann wohl für letzteres entschieden, vielleicht auch wegen der Erfahrungen, die sie vor langer Zeit mit der LMU machen musste.
1984 fand dann an unserer Schule im ehemaligen Kollegstufengebäude die erste Ausstellung über Kurt Huber statt. Die grafische Aufbereitung war im Vergleich zu den Möglichkeiten, die es heute gibt, einfach. Die Ausstellung fand große Resonanz, wie das Besucherbuch, das sich im Schularchiv befindet, ausweist. Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Heinz Westphal, erwähnte sie lobend in einer Rede im Bundestag als Beispiel der Auseinandersetzung der jungen Generation mit der Vergangenheit. Die Bemühungen wurden von der Bayerischen Landesstiftung mit 10.000 DM honoriert, sie bildeten die finanzielle Grundlage für die 1986 erschienene Dokumentation „Kurt Huber. Stationen seines Lebens in ‚Dokumenten und Bildern“. Hier sind Facharbeiten von Schülerinnen und Schülern zur Biographie von Kurt Huber und seinem Wirken in der Weißen Rose zusammengefasst und mit vielen Faksimile Dokumenten illustriert. Dieses Buch fand großen Anklang und wurde auch bundesweit nachgefragt. Prof. Wolfgang Huber hat es 2013 in einem Gespräch im Fernsehen mit dem alpha-Forum als „ganz ausgezeichnet“ beurteilt und die Hoffnung auf eine Neuauflage geäußert. Vielleicht kommt es ja noch dazu.
Als ehemaliger Lehrer des Kurt-Huber Gymnasiums sehe ich heute von außen, dass die Schulfamilie das Erbe von Kurt Huber lebendig und in hohen Ehren hält. Das ist angesichts der öffentlichen Radikalisierung und der Tatsache, dass es kaum noch Zeitzeugen gibt, besonders wichtig.
Dafür spreche ich allen Beteiligten, den engagierten Lehrerinnen und Lehrern, insbesondere aber den Schülerinnen und Schülern, meine große Anerkennung aus. Die heute eröffnete Dauerausstellung ist Teil der Erinnerungsarbeit an der Schule.